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Grössere pastorale Räume als Herausforderung für kirchliche Milizbehörden

Interview mit Maria Blittersdorf, Theologin und Wissenschaftliche Mitarbeiterin am Schweizerischen Pastoralsoziologischen Institut (SPI).

Die Theologin Maria Blittersdorf ist seit 2014 am Schweizerischen Pastoralsoziologischen Institut für die wissenschaftliche Begleitung des Projekts «Neuland» verantwortlich. Dieses Projekt befasst sich u.a. mit der Entwicklung des Zusammenspiels von Hauptamtlichen, Freiwilligen und Milizbehörden in grösseren pastoralen Räumen. Die RKZ bat Frau Blittersdorf deshalb, an ihrer Tagung vom 14. Dezember 2015 zum Thema „Milizengagement – Auslauf- oder Zukunftsmodell?“ einen Workshop unter dem Titel «Fokus Pastoralräume» zu leiten. Im nachfolgenden Interview geht Maria Blittersdorf der Frage nach «Was hilft kirchlichen Milizbehörden ihre Aufgabe in grösser werdenden Pastoralräumen sinnvoll wahrzunehmen?»

Frau Blittersdorf, in Ihrem Projekt befassen Sie sich mit Seelsorgeeinheiten im Bistum St. Gallen. Wo decken sich Ihre Erfahrungen und Eindrücke mit dem, was Sie an der Tagung aus anderen Teilen der Schweiz erfahren haben? Wo stellen Sie Unterschiede fest?

Meine Eindrücke aus dem Bistum St. Gallen wie auch an der Tagung waren, dass es eine hohe Wertschätzung des Engagements von Freiwilligen gibt. Vertreter aus Bistumsleitungen, aus der Seelsorge vor Ort und Wissenschaftler wie z.B. Theo Wehner sprechen sich dafür aus, das Potenzial der Laien zu sehen und ihm Raum zu geben. Bei den beteiligten Freiwilligen selbst habe ich übereinstimmend ein grosses Interesse an der Entwicklung von Kirche wahrgenommen sowie die Bereitschaft und den Wunsch, die Verantwortung dafür miteinander zu tragen. Hier wie dort wird gefragt, in welcher Weise bzw. wofür Professionalität nötig ist, ob Entschädigungen gezahlt werden, ob Quereinstiege von der Freiwilligenarbeit hin zu einer Anstellung möglich sind. Als hilfreich wird erlebt, wenn die Vertreter der beiden Seiten des dualen Systems gut zusammenarbeiten. Grössere Räume und neue Rollen ermöglichen und erfordern mehr Vernetzung.
Unterschiedlich sind je nach Bistum, Kanton und pastoralem Raum die pastoralen Strukturen, manche Bezeichnungen und die Form von Entschädigungen. Z.B. sind im Bistum St. Gallen Seelsorgeeinheiten errichtet worden. Die vom Bischof beauftragten Seelsorgenden tragen hier als Team die Verantwortung. Im Bistum Basel gibt es Pastoralräume mit verschiedenen Leitungsmodellen. Die Bezeichnungen für die angestellten Seelsorgenden variieren, ebenfalls die für die pastoralen und staatskirchenrechtlichen «Milizbehörden». Freiwillige werden zum Teil unterschiedlich entschädigt.

In Diskussionen um die Zukunft des freiwilligen Engagements in der Kirche wird oft nicht klar zwischen Miliz- bzw. Behördenarbeit einerseits, und Freiwilligenarbeit im eigentlichen Sinn unterschieden. Spielt diese Unterscheidung in der Praxis eine Rolle? Oder sind die Übergänge fliessend?
Nach meiner Wahrnehmung spielt diese Unterscheidung in der Praxis der Kirchenverwaltungsräte oder anderer Gremien der Seelsorge keine Rolle. Freiwillig Engagierte bringen hier ihre Fähigkeiten und Ressourcen, z.B. ihr Können und ihre Zeit, zur Bewältigung einer öffentlichen Aufgabe ein. In diesem Sinne bilden sie eine Milizbehörde. Sie verstehen sich jedoch als Freiwillige, nicht als Miliz. Der Name «Milizbehörde» ist mir im kirchlichen Kontext erstmals auf der Tagung begegnet. Eine Rolle spielt die Frage nach finanzieller Entschädigung als eine Form der Anerkennung, wie sie ja bei Milizbehörden meistens üblich ist. Ob, wenn ja, in welcher Höhe und wofür Entschädigungen gezahlt werden, ist dabei sehr verschieden, je nach Finanzkraft und Regelungen vor Ort.

Was die Behördenarbeit in grösseren pastoralen Räumen betrifft, gibt es unterschiedliche Auffassungen: Die einen fordern grössere pastorale Räume und Fusionen, weil man sonst nicht mehr genug Leute für die Ämter findet. Die anderen plädieren für überschaubare Räume, weil die Aufgaben für Milizbehörden sonst zu anspruchsvoll werden. Was ist Ihre Einschätzung?
Grössere pastorale Räume und überschaubare Räume müssen sich nicht widersprechen! Ich plädiere für ein «sowohl-als-auch»: für grössere pastorale Räume, in denen gleichzeitig die lokale Nähe berücksichtigt wird. Nähe zu den Menschen ist eine Voraussetzung, um christliche Gemeinschaft zu fördern. Grössere pastorale Räume bieten die Chance, dass hauptamtlich angestellte Seelsorgende und Freiwillige vernetzt arbeiten und Schwerpunkte setzen können.
Milizbehörden bzw. Freiwillige sind auf beiden Ebenen tätig. Ich habe bei den Freiwilligen in den Räten erlebt, dass sie hoch motiviert sind und aufgrund ihrer unterschiedlichen Lebenserfahrungen und Ausbildungen viele und vielfältige Kompetenzen mitbringen. Deshalb bin ich überzeugt, dass sich auch zukünftig für den Raum in der Nähe und für den grösseren Raum Leute interessieren und finden, die dort jeweils sehr gut tätig werden können.

Wenn Sie drei Wünsche formulieren müssten, was die RKZ allenfalls auch zusammen mit der SBK tun sollte, um Milizengagement und Freiwilligkeit zu stärken: Wie sähen diese drei Wünsche aus?
Die RKZ hat mit dem Thema der Milizbehörden ein für die Entwicklung von Kirche wesentliches Thema aufgegriffen und Stellung für dieses Engagement bezogen. Ich würde es begrüssen, wenn sie zu dem Thema weitere Anlässe organisieren würde, die dem Dialog zwischen Bistumsleitungen, Wissenschaft, hauptamtlich angestellten Seelsorgenden und Freiwilligen Raum geben. Denn unter den vielfältigen Bedingungen der Schweizer Kirche das Engagement Freiwilliger weiter zu fördern, setzt gegenseitige Kenntnis, Wertschätzung und Dialog voraus: zwischen den beiden Seiten des dualen Systems, zwischen den Bistumsleitungen und den Gremien der Pfarreien und grösseren pastoralen Räume, zwischen Wissenschaft, Theorie und Praxis. Ich halte es für lohnend, im Dialog das Thema weiter zu vertiefen.

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