Sind kirchlich engagierte Frauen und Männer stärker freiwillig engagiert als Kirchenferne?
Herr Prof. Wehner, seit vielen Jahren erforschen Sie als Arbeitspsychologe freiwilliges Engagement in unserer Gesellschaft. Wie sind Sie dazu gekommen, diesem Thema so viel Aufmerksamkeit zu schenken?
Ob Arbeitspsychologen, -pädagogen, Industriesoziologen oder ingenieurwissenschaftlich orientierte Arbeitsforscher, alle befassen sich primär mit der Erwerbsarbeit. Diese ist – wie gerecht auch immer – entlohnt und unterscheidet sich damit qualitativ von der unbezahlten Freiwilligenarbeit und auch von der Miliztätigkeit, die – so zumindest die Idee – geringfügig entschädigt wird. Alles was man nun über die Motive, Einstellungen und Gestaltungskriterien für gute Erwerbsarbeit weiss, lässt sich – so unsere Ausgangsthese, die wir auch bestätigen konnten – nicht 1:1 auf die Freiwilligenarbeit übertragen. Um also unbezahlte Arbeit ebenfalls bewerten und gut gestalten zu können, um Freiwillige zu rekrutieren, gut zu begleiten und zu unterstützen etc., muss man die Motive hierfür auch gesondert untersuchen.
In Diskussionen um die Bedeutung der Kirchen für die Gesellschaft und um ihre staatliche Förderung, betonen diese regelmässig den hohen Stellenwert der Freiwilligenarbeit. Sind kirchlich engagierte Frauen und Männer stärker freiwillig engagiert als Kirchenferne?
Freiwilligenarbeit ist in erster Linie Ausdruck persönlicher Werte. Das gilt für alle und nicht nur für jene, die religiös orientiert oder in den verschiedenen kirchlichen Einrichtungen eingebunden sind. Bei den Beweggründen zur Freiwilligenarbeit spielt der Glaube deshalb auch keine ausschlaggebende Rolle: Spass an der Tätigkeit, gemeinsam etwas bewegen und helfen wollen belegen weltweit die ersten Plätze. Bei den Engagementbereichen liegen Religionsgemeinschaften und kirchliche Einrichtungen in den meisten Freiwilligensurveys zwar vor Kultur und Freizeitbereichen, aber immer hinter (Vereins-)Sport und Bewegung und haben z.Zt., wie die meisten Engagementbereiche, auch mit leicht rückläufigem Zulauf zu tun. Was hervorzuheben ist, ist die Tatsache, dass kirchliche Organisationen, gegenüber vielen anderen Bereichen sehr intergenerational sind: alt und jung, finden hier besonders gut zusammen.
Vor einigen Jahren haben Sie das Milizengagement von reformierten Kirchenpflegerinnen und Kirchenpflegern im Kanton Zürich untersucht. Welches waren die spannendsten Ergebnisse?
Da der Vogelflug über die Alpen besser untersucht ist, als das Schweizer Milizsystem, sind fast alle Ergebnisse spannend. Hervorheben lässt sich jedoch, dass die Freiwilligen in der Kirchenpflege sehr zufrieden sind, dass sie ihre Tätigkeit (stärker als in der Schulpflege) im Kontrast zur Erwerbsarbeit erleben und auch die Entschädigung für „angemessen“ halten; dies wiederum stärker als Schulpflegerinnen und Freiwillige in der politischen Gemeindearbeit. Gleich wie in der klassischen Freiwilligenarbeit suchen die Kirchenpflegerinnen und Kirchenpfleger weder einen Berufsausgleich noch Kompetenzerwerb für den Beruf; auch ein etwaiger Zuverdienst steht an letzter Stelle der Beweggründe. Was dieser Personenkreis will ist: Einfluss nehmen, etwas bewirken und sich nützlich machen.
Wenn Sie den Verantwortlichen drei konkrete Massnahmen zur Förderung des Milizengagements in den Kirchen vorschlagen müssten: Was würden Sie anregen?
Es ist sicher anregend, sich mit den momentanen Fallstricken der Freiwilligenarbeit und insbesondere mit der Miliztätigkeit auseinanderzusetzen und dann für die jeweils eigene Institution ein angemessenes Vorgehen zu wählen. Die Stolpersteine liegen für die Zivilgesellschaft und für das Individuum
Literaturhinweis: Wehner, T. & Güntert, S. (Hrsg.); 2015; Psychologie der Freiwilligenarbeit; Springer Verlag; Berlin.