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Vier Forderungen des Präsidiums der RKZ für strukturelle Massnahmen

Mitteilung des Präsidiums der RKZ vom 29. September 2023

Die Römisch-Katholische Zentralkonferenz der Schweiz (RKZ) ist die nationale Dachorganisation der katholischen kantonalkirchlichen Körperschaften (meist Landeskirchen genannt). Als solche finanziert sie unter anderem die Schweizer Bischofskonferenz (SBK).

Die kirchlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sind bei den Kirchgemeinden und Landeskirchen angestellt. Deshalb sieht die RKZ sich, die Landeskirchen und die Kirchgemeinden in einer Mitverantwortung für Prävention, aber auch für Intervention bei sexuellen Missbräuchen im kirchlichen Umfeld:

  • Die anstellenden Behörden stehen zusammen mit den pastoralen Leitungspersonen in der Verantwortung, Kinder, Jugendliche und Erwachsene im Umfeld der Kirche zu schützen. Deshalb müssen die Verantwortlichen die Mitarbeitenden sorgfältig auswählen und allfällige Missbrauchsmeldungen rasch und professionell abklären.
  • Als Arbeitgeberinnen tragen Kirchgemeinden und Landeskirchen auch eine Fürsorgepflicht für das Personal. Dazu gehört, die grosse Zahl der unbescholtenen Mitarbeitenden vor dem Generalverdacht zu schützen. Dies erfordert, dass der kleine Teil der Mitarbeitenden zur Verantwortung gezogen wird, der seine Macht missbraucht und Grenzen verletzt. Eine Kultur des Wegsehens und Vertuschens bringt alle Mitarbeitenden in Verruf, insbesondere die Priester.

Am 12. September 2023 fand an der Universität Zürich die Medienkonferenz statt, an der die Ergebnisse des Pilotprojekts zum sexuellen Missbrauch vorgestellt wurden. Die RKZ ist dabei Seite an Seite mit der Schweizer Bischofskonferenz (SBK) und der Konferenz der Ordensgemeinschaften und anderer Gemeinschaften des gottgeweihten Lebens in der Schweiz (KOVOS) aufgetreten.

In den letzten Tagen ist aber über weitere mediale Enthüllungen sowie Auftritte von Bischöfen in breiten Kreisen der Kirche – und auch im Präsidium der RKZ – die Überzeugung gereift, dass der Kulturwandel in den Ordinariaten nicht ausreichend geglückt ist. Das Vertrauen, auf dem eingeschlagenen Weg innerhalb nützlicher Zeit eine massgebliche Verbesserung der Situation zu erreichen, ist angeschlagen.

Das Präsidium der RKZ hat deshalb vier Forderungen aufgestellt, von denen sie eine Verbesserung der Situation erwartet. Die Forderungen verlangen nicht bloss einen Kulturwandel, sondern Veränderungen in der Struktur. Es geht darum, Macht zu kontrollieren und zu begrenzen. In gewissem Mass ritzen die Forderungen das bestehende kirchenrechtliche System. Aus Sicht der RKZ lässt sich die Krise nicht lösen, wenn alle systemkonform warten, bis «Rom» das Kirchenrecht geändert hat. Dennoch klammern die Forderungen die für die Weltkirche (leider) unverhandelbaren Punkte aus, um so auf der Ebene Schweiz weiterzukommen.

1. Externe Fachperson für die Voruntersuchungen von Bischof Joseph gegen einige Bischöfe

Bischof Joseph Maria Bonnemain ist vom römischen Dikasterium für die Bischöfe beauftragt, eine Voruntersuchung gegen vier Mitglieder der Schweizer Bischofskonferenz zu führen und darüber einen Bericht nach Rom zu schicken. Bei drei Bischöfen ist zu untersuchen, ob sie die Pflicht zur Meldung von Fällen sexuellen Missbrauchs an Minderjährigen verletzt haben; diese sind seit 2001 an das Dikasterium für die Glaubenslehre in Rom zu melden. Wäre die Meldepflicht verletzt, so wäre eine Vertuschung anzunehmen.

Dass ein Bischof gegen seine Mitbischöfe ermitteln muss, stellt unter den Gesichtspunkten der Befangenheit und der fehlenden Gewaltenteilung ein Glaubwürdigkeitsproblem dar.

Das Präsidium der RKZ schlägt vor, Bischof Joseph Maria Bonnemain eine unabhängige Fachperson für Ermittlungen in Strafverfahren zur Seite zu stellen. Diese soll zusammen mit ihm die Untersuchungen leiten.

Die externe Fachperson gibt öffentlich keine Auskunft über die Ermittlungsergebnisse, formuliert aber in einem Bericht an die RKZ, ob die Zusammenarbeit mit Bischof Joseph funktioniert hat und der Schlussbericht von Bischof Joseph die Ergebnisse der Ermittlungen angemessen wiedergibt. Die externe Fachperson hilft einerseits, die Ermittlungen fachkompetent durchzuführen, andererseits ist sie Gewährsperson für die Öffentlichkeit, dass die Voruntersuchung seriös stattgefunden hat.

Nach Kirchenrecht darf der von Rom beauftragte Untersuchungsführer qualifizierte Personen auswählen, die ihn in der Untersuchung unterstützen (Franziskus, MP Vos estis Lux mundi, vom 25. März 2023, Artikel 14). Speziell an der Forderung der RKZ ist, dass sie die Fachperson aussucht, dass diese dem Bischof nicht nur zudienen, sondern auch eine Mitverantwortung für die Verfahrensführung tragen und am Schluss über den Erfolg ihrer Mitarbeit berichten soll.

Was die Massnahme nicht sicherstellen kann, ist eine öffentliche Transparenz des Verfahrens. Es liegt am Dikasterium für die Bischöfe, nach ihrer Entscheidung in einer zumindest summarischen Form zu erklären, aus welchen Gründen es welche Mitglieder der SBK als schuldig oder unschuldig betrachtet.

2. Kontroll-Funktion der unabhängigen Meldestelle

SBK, RKZ und KOVOS wollen eine unabhängige Meldestelle für Missbrauchsfälle einrichten. Dies wird von den Betroffenenverbänden schon länger gefordert.

Das Präsidium der RKZ möchte, dass diese Meldestelle nicht bloss Meldungen entgegennimmt und weiterleitet, sondern auch eine Kontrollfunktion über das weitere Verfahren erhält.

Dies bedeutet, dass die Personalverantwortlichen der Ordinariate und der Kirchgemeinden ihr mitteilen müssen, ob sie eine Anzeige bei der Polizei erstattet haben und welchen Massnahmen sie getroffen haben. Falls die Meldestelle keine Informationen erhält oder erhebliche Zweifel daran hat, dass das Verfahren gut durchgeführt worden ist, hat sie ein Interventionsrecht bei den zuständigen Stellen und kann im Notfall an den Kooperationsrat SBK|RKZ gelangen.

Ein in der Studie geschilderter Fall aus dem Bistum St. Gallen (S. 96 – 100) zeigt die Schwierigkeit, wenn Fachgremien und Meldestellen bloss unverbindliche Empfehlungen abgeben können. Die Studie resümiert: «In diesem Fall wiegt besonders schwer, dass trotz mehrfachen Insistierens sowohl des diözesanen als auch des nationalen Fachgremiums über Jahre hinweg keinerlei Massnahmen ergriffen wurden, selbst als die Anschuldigungen wiederholt, konkreter und überprüfbarer wurden.» (S. 99). Das Präsidium möchte verhindern, dass solches möglich ist, wenn Meldungen über die zukünftige unabhängige Meldestelle eingehen.

3. Errichtung einer nationalen Strafgerichtshofs mit Beteiligung der RKZ

Der Staat ist zuständig, um Verbrechen und Vergehen zu bestrafen. Den kirchlichen Instanzen bleibt die Entscheidung überlassen, ob sie das Arbeitsverhältnis mit einer verurteilten Person im kirchlichen Dienst auflösen will und ob sie einen Priester, der eine Straftat begangen hat, in der Ausübung seiner priesterlichen Funktionen einschränkt (Suspendierung) oder aus dem Klerikerstand entlässt. Für die Suspendierung oder Entlassung aus dem Klerikerstand bedarf es eines kirchlichen Strafverfahrens (vergleichbar mit Disziplinarverfahren), für das die Kirche eigene Gerichte kennt.

Die Kirche kennt mangels Gewaltenteilung keine von der Exekutive unabhängige Justiz. Ob eine Missbrauchsmeldung zu einer kirchlichen Voruntersuchung führt und ob eine Voruntersuchung zu einer kirchlichen Anklage führt, liegt allgemeine in der Entscheidungskompetenz des Bischofs; in Fällen sexuellen Missbrauchs Minderjähriger entscheidet dies das Dikasterium für die Glaubenslehre. Gemäss geltenden römischen Normen dürfen an Strafverfahren gegen Priester nur Priester als Ankläger und als Richter eingesetzt werden. Ausnahmen sind in begründeten Fällen mit Erlaubnis aus Rom möglich.

Ein Lösungsansatz, der in Frankreich und Deutschland versucht wird, ist die Schaffung von interdiözesanen kirchlichen Strafgerichtshöfen (gemäss Canon 1423 CIC). So soll das Verfahren einerseits in Distanz zum zuständigen Bischof stattfinden, was eine gewisse Gewaltenteilung ermöglicht, anderseits kann an diesen spezialisierten Strafgerichtshöfen mehr Fachkompetenz im Bereich Ermittlung, Strafrecht und Strafprozessrecht aufgebaut werden.

Das Präsidium der RKZ fordert für die Schweizer Diözesen ein interdiözesanes Gericht, das für kirchliche Strafverfahren zuständig ist. Dieses soll in der gemeinsamen Trägerschaft von SBK und RKZ stehen, so dass die RKZ in die Wahl und Beauftragung von Richterinnen und Richtern eingebunden ist.

Die RKZ will verhindern, dass ausschliesslich Priester gegen Priester ermitteln und über Priester richten. Um der Opfer willen müssen in die Ermittlung und Rechtsfindung unbedingt auch Frauen, Familienleute und Fachpersonen aus Psychologie und Rechtswissenschaft eingebunden werden. Zudem ist die Möglichkeit vorzusehen, dass die Opfer als Privatkläger am Prozess mitwirken können (analog zu Art. 118 StPO) und so von stärkeren Verfahrensrechten profitieren.

4. Partnerschaftliches Leben ist Privatsache

In der Schweiz wurden homosexuelle Handlungen 1942 entkriminalisiert, die in einzelnen Kantonen vorhanden Konkubinatsverbote wurden in der zweiten Hälfte des 20. Jh. aufgehoben. Seit 2022 sind gleichgeschlechtliche Eheschliessungen möglich. Die katholische Sexualmoral ist in der Folge seit mehreren Jahrzehnten nicht mehr gesellschaftsbestimmend. Noch immer aber versucht die Kirchenleitung, bei den kirchlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern im Verkündigungsdienst durchzusetzen, dass diese in einer sog. kanonisch anerkannten Form leben müssen, d. h. ledig, kirchlich verheiratet oder verwitwet. Dagegen erhalten Personen, die geschieden und wiederverheiratet sind, in unehelichen oder gleichgeschlechtlichen Partnerschaften leben, offiziell keine bischöfliche Beauftragung. In einzelnen Fällen führt eine kirchlich unzulässige Lebensform zur Kündigung, in der Mehrzahl der Fälle aber zu einem partnerschaftlichen Leben im Verborgenen. Eine Änderung wäre wesentlich für die betroffenen Seelsorgerinnen und Seelsorger. Sie wäre darüber hinaus auch im Zusammenhang mit der Prävention wichtig, da die rigide und homophobe Sexualmoral eine der systemischen Ursachen für den sexuellen Missbrauch in der katholischen Kirche darstellt.

Im November 2022 haben die deutschen Bischöfe einer Änderung der Grundordnung für den kirchlichen Dienst zugestimmt. Neu lautet die Aussage: «Der Kernbereich privater Lebensgestaltung, insbesondere Beziehungsleben und Intimsphäre, bleibt rechtlichen Bewertungen entzogen. Besondere kirchliche Anforderungen an Kleriker, Kandidaten für das Weiheamt, Ordensangehörige sowie Personen im Noviziat und Postulat bleiben hiervon unberührt.» (Art. 7 Abs. 2 Sätze 3-4 GO).

Das Präsidium der RKZ will, dass die Schweizer Bischöfe in gleicher Weise wie ihre deutschen Kollegen anerkennen, dass das partnerschaftliche Leben – abgesehen von den zum Zölibat verpflichteten Personen – weder anstellungs- noch kündigungsrelevant ist.

 

Das Präsidium der RKZ hat die erste Forderung aufgrund der Dringlichkeit beschlossen und für die Forderungen 2 bis 4 ein Konsultationsverfahren bei den Landeskirchen eingeleitet. Anfang Dezember 2023 soll die Plenarversammlung der RKZ entscheiden, ob sie die Forderungen in dieser oder in geänderter Form unterstützt, sowie die Frage, ob die RKZ für den Fall, dass die Gespräche mit den Bischöfen nicht erfolgreich verlaufen, ihren Finanzhebel in Anschlag bringen und die finanzielle Unterstützung an die Bischofskonferenz überprüfen soll.

Renata Asal-Steger, Präsidentin

Urs Brosi, Generalsekretär