Ein Blogbeitrag von Sabine Stalder, stellvertretende Generalsekretärin der RKZ
Wenn Menschen eine Weiterbildung in Seelsorge im Gesundheitswesen abschliessen, ist das weit mehr als ein persönlicher Meilenstein. Es ist ein starkes Zeichen: Jemand hat sich entschieden, Zeit, Energie und Herzblut in einen Dienst zu investieren, der mitten ins Leben zielt – dorthin, wo es weh tut, wo es brüchig wird, wo Fragen lauter sind als Antworten.
Vor Kurzem durfte ich den Absolventinnen und Absolventen verschiedener Weiterbildungslehrgänge an der Aus- und Weiterbildung in Seelsorge (AWS) gratulieren. Aus dieser Rede ist dieser Blogbeitrag entstanden – als Dank, als Einblick in die ökumenische Zusammenarbeit und als Blick nach vorn auf die Zukunft der Seelsorge im Gesundheitswesen.
Danke – und: Ihr habt euch wirklich etwas vorgenommen
Wer eine Weiterbildung in Seelsorge im Gesundheitswesen abschliesst, entscheidet sich für eines der wohl anspruchsvollsten Felder kirchlicher Arbeit: den Dienst an Menschen in Krisen, an Kranken, an Sterbenden und Verzweifelten.
Seelsorgende begegnen Menschen, deren Leben aus den Fugen geraten ist. Sie hören zu, halten Spannungen aus, tragen mit – oft in Situationen, in denen nichts „gelöst“ werden kann. Dass Menschen sich gehört, gehalten und aufgehoben fühlen, ist wesentlich auch ihr Verdienst.
Darum gilt der Dank nicht nur den Absolventinnen und Absolventen, sondern auch ihren Familien, Freundinnen und Freunden, die sie in dieser intensiven Zeit getragen haben, und den Arbeitgeberinnen und Arbeitgebern, die Weiterbildung ermöglichen. Und ein besonderer Dank gilt der AWS mit ihren Programm- und Studienleitungen und allen Dozierenden, die mit hoher Professionalität die Qualität dieser Weiterbildungen sichern.
Momente tiefer Zufriedenheit werden sich im seelsorgerlichen Alltag abwechseln mit Zeiten der Erschöpfung oder des Zweifelns. Das gehört dazu. Die Ausbildung vermittelt das nötige Rüstzeug, fachlich und methodisch. Aber Seelsorge lebt auch aus einer anderen Quelle: aus Vertrauen – in Gott, ins Leben, in den Sinn des eigenen Tuns. Mein Wunsch an alle, die seelsorgerlich unterwegs sind: dass Sie sich von Gottes Geist mittragen lassen.
Ökumenische Zusammenarbeit – anspruchsvoll und kostbar
Seelsorge im Gesundheitswesen ist längst ein ökumenisches Feld. Die Zusammenarbeit zwischen der Evangelisch-reformierten Kirche Schweiz (EKS), der Schweizer Bischofskonferenz (SBK) und der Römisch-Katholischen Zentralkonferenz (RKZ) ist dabei alles andere als selbstverständlich.
Sie ist ein anspruchsvoller Weg, der Respekt, Geduld und die Bereitschaft voraussetzt, Spannungen auszuhalten. Unterschiedliche Traditionen, Strukturen und Kulturen treffen aufeinander.
Besonders sichtbar wird diese Zusammenarbeit in den Bereichen Bildung, Diakonie und Seelsorge im Gesundheitswesen – und nun in einem neuen gemeinsamen Projekt: der nationalen Koordinationsstelle für Seelsorge im Gesundheitswesen.
KSiG – ein neues Kompetenzzentrum für Seelsorge im Gesundheitswesen
Am 1. September 2025 hat die nationale Koordinationsstelle für Seelsorge im Gesundheitswesen offiziell ihre Arbeit aufgenommen. Unter der Leitung von Dr. Claudia Kohli tritt sie künftig als KSiG – Kompetenzzentrum Seelsorge im Gesundheitswesen auf.
Mit dem KSiG übernehmen die drei nationalen kirchlichen Dachorganisationen – EKS, SBK und RKZ – gemeinsam Verantwortung für die Zukunft der Seelsorge in diesem Feld.
Ein zentraler Partner ist die Aus- und Weiterbildung in Seelsorge (AWS). Als ökumenische Institution verantwortet sie die Weiterbildung von Seelsorgenden im Gesundheitswesen und wird künftig als ständiger Gast an den nationalen Konferenzen des KSiG mitwirken. Ebenso wichtig ist der Dialog mit dem Berufsverband, der die Perspektive und Anliegen der praktischen Arbeit einbringt. Ohne diese beiden Partner wäre ein lebendiges und kompetentes Netzwerk nicht denkbar.
An der ersten nationalen Konferenz am 19. Januar 2026 soll genau das sichtbar werden: die Vielfalt, die Kompetenz und das Engagement aller, die täglich seelsorgerlich im Gesundheitswesen wirken. Ziel ist es, die Vernetzung zwischen Kirchen, Politik, Behörden, Bildungsinstitutionen und dem Gesundheits- und Pflegewesen zu stärken – und damit auch die Bedeutung der Seelsorge im Gesundheitswesen öffentlich sichtbarer zu machen.
Knappere Ressourcen – und trotzdem höchste Ansprüche
Die Realität ist klar:
- Die Kirchen leiden unter Mangel an Seelsorgenden.
- Der Mitgliederschwund wird sich zunehmend finanziell bemerkbar machen.
- Kirchliche Strukturen geraten unter Druck; Prioritäten werden neu verhandelt werden müssen.
Gerade deshalb ist es wichtig, Kräfte zu bündeln, gemeinsam voranzugehen und sich sichtbar zu machen – in der Öffentlichkeit, in der Politik, im Gesundheitswesen. Kirchliche Mittel sind kein Luxus: Sie sind eine Investition in Menschen – in Begleitung, Hoffnung, Resilienz, Würde.
Trotz sinkender Ressourcen bleibt für uns eines unverhandelbar: die Qualität der Seelsorge. Menschen in Krankheit, Krise oder Abschied sollen weiterhin professionell und menschenfreundlich begleitet werden – fachlich kompetent, ethisch reflektiert und spirituell verankert.
Interreligiöse Zusammenarbeit – mehr als eine nette Option
Der nächste strategische Schritt ist die Stärkung der interreligiösen Zusammenarbeit. Die religiöse Landschaft der Schweiz wird vielfältiger. Im Gesundheitswesen sind längst Menschen unterwegs, die aus unterschiedlichen spirituellen und religiösen Traditionen kommen.
Interreligiöse Zusammenarbeit ist darum:
- nicht nur eine pastorale Möglichkeit,
- sondern eine strategische Notwendigkeit.
Sie macht kirchliches Handeln politisch konsensfähig und zukunftsfähig – gerade in öffentlich finanzierten Bereichen wie Spitälern und Pflegeeinrichtungen. Ja, sie bringt zusätzliche finanzielle und strukturelle Herausforderungen mit sich. Aber sie ist eine Investition, die sich lohnt, weil sie einen lebendigen, gut vernetzten Dienst stärkt, der der Gesellschaft echten Mehrwert bietet.
Seelsorge im Gesundheitswesen: Ein Feld im Umbruch
Das Gesundheitswesen verändert sich rasant:
- ambulant statt stationär,
- hochspezialisierte Medizin,
- zunehmender ökonomischer Druck,
- komplexe ethische Spannungsfelder.
In diesem Umfeld braucht es eine Seelsorge, die:
- kompetent ist – fachlich und theologisch,
- reflektiert – im Umgang mit Leid, Schuld, Sinnfragen, Grenzerfahrungen,
- vernetzt – mit Pflege, Medizin, Ethik, Sozialdiensten und Leitung.
Genau hier kommen die Absolventinnen und Absolventen der AWS ins Spiel: Sie sind Teil dieser Zukunft. Mit ihrem Wissen, ihrer Kompetenz und ihrer spirituellen Verwurzelung tragen sie dazu bei, dass Menschen in Krankheit, Krise oder Abschied nicht allein sind, sondern Zuspruch, Begleitung und Hoffnung erfahren.
Gemeinsam weitergehen
Vielleicht begegnen wir uns wieder – im Rahmen der neuen nationalen Konferenzen, im KSiG, in der Seelsorgepraxis oder bei weiteren Weiterbildungen. Entscheidend ist: Wir gestalten diese Zukunft gemeinsam – ökumenisch, zunehmend interreligiös, gut vernetzt.
Seelsorge im Gesundheitswesen baut Brücken, hört zu und stärkt – Patientinnen und Patienten, Angehörige, Mitarbeitende im Gesundheitswesen.
Mein Wunsch an alle, die sich in diesem Feld engagieren:
- Bleiben Sie neugierig.
- Bleiben Sie vernetzt.
- Bleiben Sie nah bei den Menschen.
Und: Vertrauen wir darauf, dass Gott unseren Weg mitgeht – in den leisen Momenten am Krankenbett ebenso wie in grossen strukturellen Projekten.
Ich wünsche Ihnen und euch für das seelsorgerliche und kirchliche Wirken von Herzen alles Gute – und Gottes reichen Segen auf diesem Weg.